Chwadscha Rawasch (engl. Schreibweise: Khwaja Rawash) ist ein ärmlicher Stadtteil im 9. Bezirk von Kabul, direkt am Flughafen, der ja früher Khwaja Rawash Airport hieß, – nicht zu verwechseln mit der neueren Plattenbausiedlung gleichen Namens in der Nachbarschaft des Qasaba-Viertels im 15. Bezirk weiter im Norden, wo Lachen Helfen 2015 auch schon aktiv war (siehe den Beitrag Kindergarten Qasaba). Der Stadtteil wird auf allen Seiten von Militärcamps und internationalen Stützpunkten und Quartieren umsäumt, die ja eine enge Anbindung an den Flughafen brauchen. Vier Schulen gibt es hier: die gemischte Khwaja Rawash Hauptschule, die Khwaja Rawash Höhere Schule für Mädchen, die für Jungen sowie eine weitere, die Qabl Bai Höhere Schule im Green Village. Die drei namensgleichen Schulen waren 1987 als eine Schule, für Jungen und Mädchen gemischt, gebaut worden, die im Zuge der rapide steigenden Einwohnerzahl Kabuls bald aus den Nähten platzte. So wurden die heutigen drei Schulen 2011 getrennt von einander mit Krediten der Weltbank an verschiedenen Punkten einzeln neu aufgebaut und bekamen erst da diesen Namen. Ausgelegt waren sie für etwa je 1500 Kinder. Das ist inzwischen überholt: Allein in der Mädchenschule werden heute 3130 Schülerinnen in drei Schichten unterrichtet. Der Schulbetrieb läuft also ohnehin unter angespannten Verhältnissen ab. Doch dann nahm eine neue Entwicklung ihren Lauf…

In den letzten drei Jahren gab es zahlreiche Terroranschläge auf die umliegenden Camps und Quartiere der verschiedenen internationalen Missionen, vier davon mit so heftigen Explosionen, dass weite Flächen des Stadtteils Khwaja Rawash, der hier in der Klemme zwischen dem Flughafen und diesen Camps ist, in Mitleidenschaft gezogen wurden. Die Mädchenschule wurde 2017 bereits durch die Druckwelle einer Bombenexplosion schwer beschädigt. Die Scheiben vieler Fenster waren zerborsten, Türen zerschmettert, die Umfriedung zerstört, und die Sanitäreinrichtung und Wasserversorgung funktionierte nicht mehr richtig. Mittlerweile war der Zustand völlig heruntergekommen. Insbesondere im Winter war ein geregelter, so eng gestaffelter Schulbetrieb nicht mehr möglich. Doch unter der anhaltenden Bedrohung waren die Behörden völlig überfordert, und jeglicher Versuch von Reparaturen wie Instandhaltung unterblieben.

Nun ist Lachen Helfen seit vielen Jahren in Afghanistan aktiv und hat zahlreiche, auch große Neu- und Wiederaufbauprojekte in dem Land auf Initiative und mit Hilfe der Unterstützung deutscher Soldaten und Polizisten vor Ort erfolgreich gemeistert. Allein in Kabul gibt es zwei große höhere Schulen ähnlichen Formats, die unter den umfangreichen deutschen Hilfsmaßnahmen aufgeblüht sind: siehe die Berichtsserie über die Rābi’a Balkhī und Sorya Höheren Mädchenschulen in Kabul aus den Jahren 2011–2013).

Auch jetzt schalteten sich die deutschen Polizisten des Projektteams (GPPT) in Kabul wieder ein. Sei sind mit ihrer Mission in unmittelbarer Umgebung in einem dieser Quartiere, dem Green Village, untergebracht. Es gibt eine Baufirma, mit der man bereits bei anderen Baumaßnahmen gute Erfahrung gemacht hatte und die sich bereit erklärte, auch hier wieder mit einzusteigen. Sie gehört zu einem Industrie- und Handelsunternehmen, Akramzada International, das weltweit agiert und sich nebenbei im Rahmen einer eigenen Stiftung auch gemeinnützig für den Aufbau des Landes engagiert. Nach einer ersten Inaugenscheinnahme im Februar 2019 erhielten die Polizisten über die örtliche Bildungsbehörde eine von der Schulleiterin zusammengestellte Bedarfsanalyse für einen Wiederaufbau. Die Baufirma erstellte daraufhin noch im selben Monat einen Kostenplan und eine konkrete Bauplanung. Allein die finanziellen Mittel mussten freilich organisiert werden, denn eine staatliche Unterstützung gibt es ja so gut wie nicht.

Die Polizisten Alexander Ehemann und Dr. Lars Gerdes haben mit Akramzada Int’l den Bauvertrag gezeichnet. (30-Apr-2019)

Kriminalhauptkommissar Alexander Ehemann, der Projektkoordinator des GPPT vor Ort, wandte sich an Lachen Helfen e.V. und – da das Vorhaben erheblichen Umfangs war – aus dem Verein heraus an die ebenfalls gemeinnützig tätige private Organisation Human Plus e.V., die von Nettetal (Lobberich) am Niederrhein aus in erster Linie Hilfstransporte in Katastrophen- und Krisengebiete vieler Länder organisiert. Der äußerst engagierte und ebenfalls unkomplizierte Vorsitzende von Human Plus Anestis Ioannidis musste nicht lange überredet werden. Beide Vereine gingen unter Einbeziehung der genannten Baufirma das Projekt des Wiederaufbaus der Mädchenschule jetzt mit vereinten Kräften an.

Die beauftragten Bauarbeiten wurden zügig in den Monaten Mai bis August 2019 vollzogen. Die Türen und Fenster im Schulgebäude wurden repariert und Sicherheitsglasscheiben eingesetzt. Vier nie vollendete Klassenzimmer wurden fertiggestellt, alle anderen renoviert. Die Außenmauer des Schulgeländes wurde neu hochgezogen, und vor allem wurden die außen liegenden Toilettenanlagen komplett abgetragen und völlig neu gebaut sowie ein eigener Brunnen für die Schule gebohrt. Damit war das wesentliche getan, nur die Außenfassade der Schule sollte später noch gestrichen und in einer freigeräumten Ecke auf dem Gelände ein zusätzliches Gebäude mit zwei neuen Klassenräumen und einem Kindergarten eingerichtet werden, denn insbesondere die fast 100 im Schichtbetrieb arbeitenden Lehrerinnen wussten nicht, was sie tagsüber mit ihren eigenen Kindern anstellen sollten. Weitere kleinere Arbeiten wollte der Bauunternehmer noch über seine Stiftung ausführen, die parallel auch schon in den anderen Khwaja-Rawash-Schulen aktiv wurde.

Diese Arbeiten wurden einmal mehr jäh unterbrochen: Das Green Village, dem schon 2017 einer der schweren Anschläge gegolten hatte, wurde in der Nacht zum 3. September 2019 heftig von einer Bombe erschüttert, die zuvor in einem Traktor verborgen an einer der Zufahrten plaziert worden war. Es kam zu stundenlangen Feuergefechten mit Eindringlingen, die letztlich ausgeschaltet werden konnten.

Die Mannschaft des Polizeiteams GPPT war erst vor ein paar Wochen in ein gesondert geschütztes Gebäude in der bewachten, geschlossenen Siedlung umgezogen, welches übrigens von Akramzada dafür umgebaut und verstärkt worden war. Deshalb ist niemandem von ihnen etwas passiert. Am folgenden Tag drang ein unkontrollierbarer Mob von aufgebrachten Anwohnern aus der Nachbarschaft an den zerstörten Wachanlagen vorbei in das Village ein und steckte Polizeifahrzeuge in Brand. Ihnen ist die Anwesenheit der vielen ausländischen Einsatzkräfte und Bediensteten in dem Stadtteil ein Dorn im Auge, weil sie immer wieder mit unter den Anschlägen leiden müssen, die die Taliban auf diese Leute durchführen. Am liebsten würden sie die Ausländer deshalb aus der Stadt hinaustreiben – selbstverständlich ungeachtet dessen, dass diese sich auch für ihre Belange einsetzen. Die Polizisten mussten deshalb ihre Sachen zurücklassen und wurden in die deutsche Botschaft evakuiert. Aber es stimmt nicht, was in den deutschen Medien verbreitet wurde, dass die GPPT-Mission in Kabul deswegen ausgesetzt worden sei. Es dauerte wohl geraume Zeit, bis die Polizisten zurückkehren und ihren regulären Dienst wieder aufnehmen konnten.

Die Bauarbeiten in der Schule wurden dann in der Zeit von November bis März zu Ende geführt, und erst am 21. Juli 2020 konnte die bereits stattgefundene Wiederaufnahme des Schulbetriebs in einer feierlichen Eröffnung begangen werden. An den Gesamtkosten für die Baumaßnahmen hatte sich Lachen Helfen wie im Jahr zuvor vereinbart mit € 60.000,– beteiligt.

Alexander Ehemanns Dienstzeit in Afghanistan war da schon abgelaufen. Auch der Leiter der GPPT Dr. Lars Gerdes, der mit ihm zusammen das Projekt durchgezogen hatte, hatte bereits den Stab an seinen Nachfolger übergeben. So kam es, dass Andreas Hess und die inzwischen eingesetzte Projektleiterin Swantje Meinke(?) die Dankworte in der Schule entgegennahmen. Sie besuchte im November zusammen mit Peter Jördening, dem neuen Leiter des GPPT in Kabul, noch einmal die Schule, um die Mädchen zu treffen und neue Schulbücher zu verteilen.

Lesen Sie hierzu auch den Bericht in der Chronik „25 Jahre Lachen Helfen“ (Seite 74 ff.)!