Hintergrund

Im Jahr 2004 hat die Operation EUFOR Althea in Bosnien und Herzegowina die Nachfolge der NATO-Missionen IFOR (1995) und SFOR (1996–2004) angetreten, um zur Sicherheit in der 1992 neu gegründeten Republik beizutragen, nachdem dort im Zuge des Zerfalls von Jugoslawien über drei Jahre lang der Bosnienkrieg getobt hatte (1992–1995). Primäre Aufgabe der Mission ist nach wie vor, das Zusammenwachsen der in neuen Grenzen geordneten unterschiedlichen jugoslawischen Ethnien zu fördern, um langfristig die Situation in der Bevölkerung, die seit der Gründung des Vielvölkerstaates Jugoslawien im Jahr 1918 friedlich miteinander ausgekommen war, neu zu stabilisieren.

Besondere Bedeutung kommt dieser EU-Mission zu, da die Republik Bosnien und Herzegowina nach ihrer Gründung formal in die aus zehn Kantonen bestehende Föderation Bosnien und Herzegowina (1994) und die Republika Srpska (1992) aufgeteilt wurde, die Bevölkerung aber unabhängig von der Grenzziehung naturgemäß durchmischt ist, es also nicht eine wirkliche regionale Trennung zwischen den bosnischen Muslimen (Bosniaken) und den bosnischen Serben, die orthodoxe Christen sind, gibt. (Die hauptsächlich von den überwiegend römisch-katholischen bosnischen Kroaten bewohnten Gebiete waren 1992 als kroatische Republik ausgerufen worden, wurden aber 1996, nach der Beilegung des Bosnienkrieges, in die anderen beiden integriert.)

Dennoch bilden sich die Unterschiede in der ethnischen Zusammensetzung der bosnischen Bevölkerung im Bildungssystem des Landes ab. In der Regel gibt es, besonders in kleinen Ortschaften, gemeinsame öffentliche Schulen für alle Kinder – Grundschulen (bis zur neunten Schulklasse) sowie weiterführende Schulen. In der Praxis führen allerdings die ethnozentrisch zugeschnittenen Lehrpläne häufig zur Trennung in ethnisch getrennte Klassen – in ein und derselben Schule, ohne dass dies in irgendeiner Weise ausgewiesen oder äußerlich erkennbar wäre.

So sitzen etwa „kroatische“ Kinder vormittags in einem Schulraum und werden im Erdkundeunterricht im Rahmen des Curriculums etwa gefragt: Welche sind die bedeutendsten Städte in Kroatien? – Am Nachmittag sitzen andere Kinder im selben Schulraum und erfahren etwas über ganz andere Städte; es sind die „bosnischen“ Schüler. Ursprünglich als Übergangslösung zum Aufbau multiethnischer Schulen Ende der 1990er Jahre in der Etablierungsphase der „Föderation“ gedacht hat sich dieses System der „zwei Schulen unter einem Dach über die Jahre bewahrt, auch wenn es im Laufe der Zeit vom allgemeinen Unterricht mehr und mehr auf die Fachgebiete Sprache, Erdkunde und Geschichte eingegrenzt wurde. Der Trend geht eher dahin, das Schulsystem „auszubauen“, indem neue, von vornherein getrennte Schulen errichtet werden. Zwangsläufig führt dies dazu, dass die Kinder einander – mindestens in der Schule – nicht begegnen, wobei wir hier nicht betrachten wollen, inwieweit diese Trennung zusätzlich ideologisch untermauert wird. Das System ist – vergleichbar mit den Bundesländern in Deutschland – in der Föderation kantonsbasiert organisiert, so verläuft diese Entwicklung auf unterschiedlichen Zeitskalen mit unterschiedlichen Vorzeichen.

In der Republika Srpska gibt es diesen Effekt so nicht, da hier in der Teilrepublik das Schulsystem unter serbisch dominiertem Vorzeichen einheitlich gesamtheitlich geregelt ist, was nicht bedeutet, dass es nicht insbesondere an der Grenze zur Föderation in Regionen mit starkem bosnischen Bevölkerungsanteil ebenso ein gewisses Maß an ethnischer Ausgrenzung gibt.

Im Jahr 2017 fanden sich Initiatoren aus den vier Ländern Kroatien, Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro zusammen und verfassten eine neue Deklaration zur gemeinsamen Sprache, die über die Grenzen dieser Länder hinaus rasch von über achttausend Menschen unterzeichnet wurde. Wie schon das Wiener Abkommen von 1850 proklamiert sie die Verwendung einer gemeinsamen serbokroatischen Standardsprache, wenn auch in unterschiedlichen Eigenarten, in den ehemaligen Staaten Jugoslawiens.

Wir wollen keine Bewertung des bosnischen Schulsystems vornehmen. Vielmehr geht es darum aufzuzeigen, vor welchem Hintergrund und in welchem Umfeld die derzeit in Bosnien eingesetzten Bundeswehrsoldaten operieren, um Brücken zu schlagen zwischen den Volksgruppen und insbesondere Kinder und Jugendliche, die unter den Nachwehen des Bosnienkrieges aufwachsen, einander näher zu bringen. Das entspricht nicht nur ihrem offiziellen Auftrag, sondern geht durch ihr persönliches Engagement weit darüber hinaus – und Lachen Helfen ist wieder mit dabei!

Theater-AG-Kladanj

Zum Auftakt des Theaterseminars in der Grundschule Kladanj wird das mitgebrachte Arbeitsmaterial verteilt.

Ein gemeinsames interethnisches Theaterprojekt

Seitdem wieder Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Operation EUFOR Althea in Bosnien im Einsatz sind, ist auch der Verein Lachen Helfen, der sich im Balkan zuletzt auf Hilfsprojekte im Kosovo konzentriert hatte, wieder in Bosnien aktiv dabei. Eine erste behutsame Kontaktaufnahme zu den Kindern in der Bevölkerung geschah im Frühsommer 2023, als deutsche Soldaten von Lachen Helfen gestiftete Malstifte im Kindergarten der nach dem serbischen Dichter und Patrioten Jovan-Dučić (1871–1943) benannten Grundschule in Šekovići verteilten (siehe Vorgeschichte). Dies erwies sich nicht zuletzt als Türöffner zu den lokalen Schulbehörden.

So hörten die Soldaten, dass das Goethe-Institut in Sarajevo im Rahmen seines Kulturprogramms zur Stützung des Deutsch-Fremdsprachenunterrichts, der an bosnischen Schulen im Lehrplan steht, Ende Mai 2024 ein Theaterfestival in Vlasenica veranstalten will, das die Integration und Inklusion von Kindern unterschiedlicher Herkunft und den Zusammenhalt unter Jugendlichen zum Thema hat, die täglich mit sozialer Ausgrenzung in ihrem Leben umzugehen haben. Das Goethe-Institut wird großenteils aus dem Bundeshaushalt finanziert, ist aber zur Durchführung eines solchen Programms auch auf Spenden angewiesen. So bot sich – welch ein Glücksfall – die direkte Zusammenarbeit mit Lachen Helfen über das LOT Haus hier vor Ort an.

Aus Anlass der geplanten Veranstaltung, aber mit Blick darüber hinaus sollen nun Theaterkurse an insgesamt zehn Schulen in der Umgebung dauerhaft eingerichtet werden, sechs in der Föderation und vier in der Republika Srpska. Zum Auftakt wurden die Schulen eingeladen, mit Vertretern aus der Lehrerschaft an Arbeitsseminaren teilzunehmen, in denen sie mit der Form des „Impro-Theaters vertraut gemacht wurden, das die Steigerung der Handlungs- und Rollenbeweglichkeit von Kindern und Jugendlichen durch spielerische, motivierende Elemente und dadurch die Förderung ihres Selbstvertrauens zum Ziel hat. Zwei solcher Seminare fanden inzwischen statt: am 27. Januar an der Grundschule in Kladanj im Kanton Tuzla und am 2. März 2024 am Milorad-Vlačić-Mittelschulzentrum Vlasenica. Lachen Helfen hat das umfangreiche Arbeitsmaterial zur dekorativen und technischen Bühnenausstattung zu 12x je € 1260,– dafür gestiftet.

Im Mittelpunkt der Darbietungen wird eine slawische Adaption des 2016 in Buchform erschienenen Theaterstücks „T4. Ophelias Garten“ von Pietro Floridia stehen (DNB), das im Januar 2023 im Theater unterm Dach in Berlin erstaufgeführt wurde und als Projekt des Goethe-Instituts im Oktober 2023 in Sarajevos Kriegstheater auf die Bühne kam. (Zu T4 siehe: Tiergartenstraße 4)

Aktuelle Situation

Im Jahr 2012 hatte die Bundesrepublik das Mandat für die deutsche Teilnahme an der Operation EUFOR Althea beendet, und die letzten drei verbliebenen Soldaten der Bundeswehr hatten die deutsche Flagge eingeholt, die hier in Bosnien siebzehn Jahre lang gemeinsam mit den anderen geweht hatte. Anders als Deutschland hielt die EU den Auftrag der Mission noch längst nicht für erfüllt, da der Dissens zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen zu dem Zeitpunkt noch in keiner Weise beigelegt war, im Gegenteil. So stieg schließlich, zehn Jahre darauf, Deutschland 2022 in das bestehende UN-Mandat neben den anderen NATO- und EU-Ländern mit bis zu vier Dutzend Soldaten fürs erste wieder mit ein.

Die 19 EUFOR-LOT-Häuser in Bosnien (die zehn Kantone der Föderation in bläulichen Farben, die Republika Srpska in Rot).*

Die Deutschen übernahmen zwei neue LOT Häuser in Vlasenica und in Čapljina, deren Zahl damit auf insgesamt 19 anstieg. Die EUFOR LOT Häuser (Liaison and Observation Teams) sind über die bosnische Föderation und über die Republika Srpska verstreut und halten im Rahmen der Operation die Verbindung zu den kommunalen Einrichtungen und Behörden in ihrer direkten Umgebung. Das LOT Haus in der (informellen) Region Vlasenica liegt in der überwiegend serbisch bewohnten Teilrepublik. Zu seinem Einflussbereich gehören neben der weiteren (informellen) Region Sarajevo-Romanija aber auch Gebiete in den Kantonen Tuzla und Zenica-Doboj, die beide der Föderation angehören. Als einzigem der LOT Häuser kommen ihm somit in direkter Weise Aufgaben zu, die sowohl bosnische als auch serbische Teile der Bevölkerung umfassen, zumal die Durchmischung beider Ethnien in dieser Gegend besonders hoch ist. [(*) Kartenbild: © 2019 Julian Nitzsche / 2024 EUFOR]