Im Viertel Qalai-Nadscharha des 4. Bezirks im Westen von Kabul ist die Flüchtlingssiedlung Tschaman-e Babrak. Manchmal wird sie auch Shahrak Police Camp genannt, nach der Polizeikolonie, die ein paar hundert Meter weiter ist. Seit 2003 haben sich hier, auf einer Schutthalde zwischen den Wohnvierteln, aus dem Ausland heimkehrende afghanische Flüchtlinge unterschiedlichster ethnischer Zugehörigkeit angesiedelt.

AFG-Kabul-(JRS)-07

Tschaman-e-Babrak-Flüchtlingssiedlung in Kabul

Viele Millionen Menschen hatten das Land in den Jahren nach dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan Ende 1979 verlassen, und es gab eine weitere große Flüchtlingswelle, als nach dem Abzug der Sowjets 1989 der erneute Bürgerkrieg ausbrach. Die meisten flohen über die Landesgrenzen nach Pakistan und in den Iran, viele aber auch bis nach Europa, vor allem nach Deutschland. Insgesamt sind es derzeit, 2017, nach Einschätzung des UNHCR immer noch 4,8 Millionen, obwohl schon wieder viele seit der im Rahmen der Operation Enduring Freedom 2001 durchgeführten US-amerikanischen Intervention mit aktiver Unterstützung des UNHCR freiwillig zurückgekehrt sind. Zu der genannten Zahl hinzu kommen dann aber Hunderttausende, die unter der allgegenwärtigen Bedrohung innerhalb des Landes aus ihren Heimatorten geflohen sind. Diese sogenannten Binnenflüchtlinge (engl. IDP – internally displaced persons) fallen durchs Raster der UN. An fremden Orten gestrandet haben sie meist keinerlei Möglichkeit, in ihre jeweilige Heimat zurückzugelangen. Sie versuchen derweil, sich in improvisierten Flüchtlingssiedlungen am Rande der Großstädte – die auch hier als Slums bezeichnet werden – ein neues Leben aufzubauen oder überhaupt einfach nur zu überleben. Für die Kinder ist das am allerschlimmsten. Sie sind nicht nur aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen, sondern werden zu Spielbällen der verfahrenen Situation und haben keine Chancen, unter normalen Verhältnissen aufzuwachsen und etwa zur Schule zu gehen. Die allermeisten sind traumatisiert, unterernährt und viele krank. An den „zuständigen“ Behörden geht das alles vorbei.

Alleine in Kabul gibt es etwa 50 solcher inoffiziellen Ansiedlungen, eine davon ist die neben der genannten Polizeikolonie. Hier ist seit ein paar Jahren die „Ostschweizer Hilfe für Afghanistan“ (OHA) aktiv. Sie versucht ihr Möglichstes, um es für die gut 700 Familien in der Siedlung und ihre zahlreichen Kinder, im Schnitt 6 pro Familie, erträglicher zu machen – allen voran die Schweizer Pflegewissenschaftlerin Dr. Silvia Käppeli, die seit ihrer Pensionierung 2011 gleichzeitig die Leiterin des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes (JRS) für Afghanistan vor Ort ist. Über die tägliche Fürsorge hinaus zeichnete sich aber ab, dass für eine wirkliche Verbesserung der Lebensbedingungen die Installation einer vernünftigen Wasserversorgung vonnöten war. Also wandte sie sich an die in Kabul stationierten deutschen Soldaten der Mission Resolute Support (RS NATO) und die wiederum an Lachen Helfen. Im Frühjahr 2017 schrieb sie einen längeren Bericht über die Situation, dem erschreckende Bilder beigefügt waren (siehe oben).

Gemeinsam wurde ein Plan geschmiedet: Ein Brunnen muss her, besser noch ein kleines „Wasserwerk“! Denn das Oberflächenwasser, das bisher an mehreren Stellen gesammelt wird, ist komplett versalzen und darf eigentlich nur als Brauchwasser, aber nicht als Trinkwasser dienen. Die Fachleute ermittelten die Kosten für die Umsetzung mit $ 12.150,– (€ 11.500,–), und die wurden von Lachen Helfen sogleich bewilligt. Die Soldaten sorgten für die „saubere“ Durchführung, unter der persönlichen Aufsicht durch Georg Westermeyer, den Technischen Leiter des Deutschen Medizinischen Dienstes vor Ort. Den staunenden Bewohnern wurde erklärt: So sind die Deutschen und die Schweizer, wenn sie sich einer Sache annehmen…

Die Arbeiten unter den gegebenen Bedingungen waren schwierig und zogen sich über den Sommer bis in den Herbst. Deshalb wurde noch im Oktober zuerst eine provisorische Pumpe in Betrieb genommen, damit die Leute schon Wasser holen konnten, während das Brunnenhaus noch im Bau war. Das Dach einer bereits vorhandenen kleinen Moschee wurde mit Stahlträgern verstärkt, damit hier Solarpaneele installiert werden konnten, um die Stromversorgung zu ermöglichen. Ursprünglich sollten durch die Siedlung verteilt vier dezentrale Wassertanks gebaut werden. Darauf wurde nun verzichtet, weil man übereinkam, das Wasser künftig an einer Reihe von Zapfstellen im Brunnenhaus selbst zu holen. Zugegebenermaßen fiel den afghanischen Männern diese Entscheidung nicht schwer, weil sie die Aufgabe des Wasserschleppens ohnehin wie gewohnt den Frauen und Mädchen überlassen würden. Für sie war es wichtiger, dass an der besagten Moschee noch ein kleiner Raum für rituelle Waschungen angebaut wurde. Die Europäer ließen die Afghanen selbstverständlich gewähren, ohne sich da einzumischen. Vorkehrungen für den Anschluss von Wasserleitungen in die abgelegenen Teile des Viertels wurden allerdings noch getroffen, damit irgendwann später den Frauen das Leben doch noch erleichtert werden könnte.

Aber im November 2017, noch rechtzeitig vor dem nächsten Winter, sprudelte am neuen Brunnenhaus endlich frisches Wasser. Übrigens: Auf den Tankwagen mussten die Menschen immer warten, und für jeden Liter Wasser mussten sie zahlen, jetzt lassen sich die Kanister zu jeder Zeit beliebig oft füllen – ohne einen Pfennig! Und es zeichnet sich bereits ab, dass das Brunnenhaus der neue Treffpunkt für die Anwohner werden wird. Das wiederum beschert auch den Frauen nun ungeahnt neue Freude.